Hanns Dieter Hüsch „Das Phänomen“

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Rezitation: Andreas Hutzel

Text:

Was ist das für ein Phänomen / Fast kaum zu hören kaum zu sehn
Ganz früh schon fängt es in uns an / Das ist das Raffinierte dran
Als Kind hat man\'s noch nicht gefühlt / Hat noch mit allen schön gespielt
Das Dreirad hat man sich geteilt / Und niemand hat deshalb geheult
Doch dann hieß es von oben her / Mit dem da spielst du jetzt nicht mehr
Das möcht ich nicht noch einmal sehn / Was ist das für ein Phänomen

Und ist man größer macht man\'s auch / Das scheint ein alter Menschenbrauch
Nur weil ein andrer anders spricht / Und hat ein anderes Gesicht
Und wenn man\'s noch so harmlos meint / Das ist das Anfangsbild vom Feind
Er passt mir nicht er liegt mir nicht / Das ist das nicht und find ihn schlicht

Geschmacklos und hat keinen Grips / Und ausserdem sein bunter Schlips
Dann setzt sich in Bewegung leis / Der Hochmut und der Teufelskreis
Und sagt man was dagegen mal / Dann heisst\'s: Wer ist denn hier normal
Ich oder er du oder ich / Ich find den Typen widerlich

Und wenn du einen Penner siehst / Der sich sein Brot vom Dreck aufliest
Dann sagt ein Mann zu seiner Frau / Guck dir den Schmierfink an die Sau
Verwahrlost bis zum dorthinaus / Ja früher warf man die gleich raus
Und heute muss ich sie ernähr\'n / Und unsereins darf sich nicht wehr\'n

Und auch die Gastarbeiterpest / Der letzte Rest vom Menschenrest
Die sollt man alle das tät gut / Spießruten laufen lassen bis auf\'s Blut
Das hamwer doch schon mal gehört / Da hat man die gleich streng verhört
Verfolgt gehetzt und für und für / Ins Lager reingepfercht und hier

Hat man sie dann erschlagen all / Die Kinder mal auf jeden Fall
Die hatten keinem was getan / Was ist das für ein Größenwahn
Das lodert auf im Handumdrehn / Und ist auf einmal Weltgeschehn
Denn plötzlich steht an jedenm Haus / Die Juden und Zigeuner raus

Nur weil kein Mensch derselbe ist / Und weiß und schwarz und gelbe ist
Wird er verbrannt ob Frau ob Mann / Und das fängt schon von klein auf an
Und wenn ihr heute Dreirad fahrt / Ihr Sterblichen noch klein und zart
Es ist doch eure schönste Zeit / voll Phantasie und Kindlichkeit

Lasst keinen kommen der da sagt / Dass ihm dein Spielfreund nicht behagt
Dann stellt euch vor das Türkenkind / dass ihm kein Leids und Tränen sind
Dann nehmt euch alle an die Hand / Und nehmt auch den der nicht erkannt
Dass früh schon in uns allen brennt / Das was man den Faschismus nennt
Nur wenn wir eins sind überall / Dann gibt es keinen neuen Fall
Von Auschwitz bis nach Buchenwald / Und wer's nicht spürt der merkt es bald

Nur wenn wir in uns alle sehn / Besiegen wir das Phänomen
Nur wenn wir alle in uns sind / Fliegt keine Asche mehr im Wind

Bilder: Video der Vorwerker Diakonie Lübeck

Tags:

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Комментарии
Автор

wow, sehr ergreifende Interpretation und ein wirklich unglaublicher Text.

anneliegehtdichnichtsan
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Als jemand, der Hans Dieter Hüsch häufig auf den kleinen und großen Bühnen der Republik erleben durfte, rührt mich der Vortrag dieses zeitlosen Textes besonders an. Vielen Dank!

ISERHOT-HANKE
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Zum heutigen Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz dieser Text von meinem persönlichen Freund Andreas Hutzel gesprochen. Es ist mir ein Anliegen diesen Text zu Gehör zu bringen.

wortlover
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Bravo! Herzlichen Dank, Andreas Hutzel ..

LYRIK_literaturforum
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Hochaktuell !
Gut vorgetragen.
*DANKE*

naja
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Wow! Dankeschön für diese tolle Interpretation. Dieses Gedicht sollte aufgenommen werden in die Lehrpläne der Schulen. Und jeder Schüler sollte sich eine Strophe aussuchen, die er den anderen erklärt.

christineostwald
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Nie wieder Faschismus - weder von rechts, noch von links. Danke dafür HDH.

cfchh