RICHTUNGSWAHL: Türken stimmen über das Schicksal von Präsident Recep Tayyip Erdogan ab | WELT Thema

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In der Türkei hat eine richtungsweisende Wahl begonnen. Rund 61 Millionen Menschen sind am Sonntag dazu aufgerufen, über ein neues Parlament und den Präsidenten abzustimmen. Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan muss nach 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl bangen.

Umfragen deuten auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Erdogan und seinem Herausforderer, dem Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, hin. Die Wahllokale schließen um 17.00 Uhr (Ortszeit/16.00 MESZ). Mit belastbaren Ergebnissen wird am späten Sonntagabend deutscher Zeit gerechnet.

Die Wahl findet in angespannter Atmosphäre statt. Es gibt Befürchtungen, dass Erdogan eine Niederlage nicht akzeptieren könnte. Am Freitag hatte der Präsident jedoch erklärt, das Ergebnis in jedem Fall anerkennen zu wollen.

Das Interesse an der Wahl war bereits am Morgen groß. Im konservativen Istanbuler Bezirk Üsküdar bildeten sich lange Schlangen, wie ein dpa-Reporter berichtete. Eine Frau mittleren Alters, die sich als Sevinc vorstellte, sagte, die Wahl sei «leider das einzige Feld, in denen das Volk seine Freiheit nutzen kann». Sie hoffe auf eine hohe Beteiligung. Der 57-jährige Fikret Koc sagte, er unterstütze den «Anführer» Erdogan. Er habe die Türkei stark gemacht und vorangebracht.

Auch in der Erdbebenregion Adiyaman gingen die Menschen an die Urnen. Nach Einschätzung eines lokalen dpa-Mitarbeiters war der Andrang am Morgen aber verhaltener als in den vergangenen Jahren. Einige seien extra für die Wahl aus Notunterkünften an ihren früheren Wohnort gekommen. In den von den Erdbeben betroffenen Provinzen wird in Containern oder noch intakten Schulen abgestimmt. Nach den Beben in der Südosttürkei am 6. Februar mit Zehntausenden Toten war Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut geworden.

Seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren hat der 69 Jahre alte Erdogan so viel Macht wie noch nie und kann weitestgehend am Parlament vorbei regieren. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte er erneut gewinnen. Auch international wird die Abstimmung in dem Nato-Land aufmerksam beobachtet.

Kilicdaroglu (74) ist Chef der sozialdemokratischen CHP und kandidiert für ein Bündnis aus sechs Parteien. Er verspricht die Rückkehr zum parlamentarischen System. Der dritte Kandidat, Sinan Ogan, hat keine Aussicht auf einen Sieg. Gewinnt keiner der Kandidaten in der ersten Runde die absolute Mehrheit, kommt es in zwei Wochen - am 28. Mai - zu einer Stichwahl.

Im Parlament hält Erdogans islamisch-konservative AKP zurzeit eine Mehrheit im Bündnis mit der ultranationalistischen MHP. Ob Erdogan diese halten kann, ist offen. Als Zünglein an der Waage gilt die prokurdische HDP. Sie gehört nicht zu Kilicdaroglus Sechser-Bündnis, unterstützt ihn aber bei der Präsidentenwahl.

Der Wahlkampf galt als unfair, vor allem wegen der medialen Übermacht der Regierung. Bestimmendes Thema war vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan versprach unter anderem eine Anhebung von Beamtengehältern und weitere Investitionen in die Rüstungsindustrie. Er führte eine aggressive Kampagne, beschimpfte die Opposition als «Terroristen» und äußerte sich feindlich gegenüber lesbischen, schwulen und queeren Menschen.

Ein beliebter Oppositionspolitiker war nur eine Woche vor der Wahl mit Steinen beworfen worden. Kilicdaroglu trug am Freitag bei einem Auftritt in der Erdogan-Hochburg Samsun eine kugelsichere Weste.

Kilicdaroglu gilt als besonnener Politiker. Er stammt aus der osttürkischen Provinz Tunceli und gehört der religiösen Minderheit der Aleviten an. Der Oppositionsführer will die Unabhängigkeit von Institutionen wie der Zentralbank wiederherstellen und die hohe Inflation in den Griff bekommen. Er steht für eine Wiederannäherung an Deutschland und die EU, aber auch für eine schärfere Migrationspolitik.

#türkei #erdogan #weltnachrichtensender

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