Prof. Bernhard Pörksen über die Empörungsdemokratie des digitalen Zeitalters (2012)

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„Jeder Demokratie muss es gefallen, wenn sich möglichst viele Menschen an den gesellschaftlichen Diskursen beteiligen. Heute wird dies vor allem technisch erleichtert. Die dabei entstehende Vielfalt spiegelt nichts Anderes als Meinungspluralität wider. Das müssen wir aushalten, denn nur ein bisschen Pressefreiheit gibt es nicht." Mit diesen Worten beschrieb Bettina Reitz, Fernsehdirektorin des Bayerischen Rundfunks (BR), ein Credo, das sich sowohl Medienmacher als auch Politiker zu Eigen machen sollten. Während der Diskussion des Content-Gipfels der MEDIENTAGE MÜNCHEN gingen Journalisten und Programmverantwortliche auf dem hochkarätig besetzten Podium der Frage nach, wann die Grenze zwischen investigativem Journalismus und Skandalberichterstattung überschritten sei. In seinen einführenden Thesen problematisierte Dr. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, dass die Mediendemokratie in eine „digitale Empörungsdemokratie" übergehe. Diese drohe die Deutungshoheit klassischer Medien zu brechen: „Die Deutungsmacht der wenigen verwandelt sich in die Meinungsmacht der vielen." Da nun jeder selbst zum Produzenten und Sender von Informationen werden könne, entstünden zahllose Teilöffentlichkeiten, die innerhalb der digitalen Empörungsdemokratie zur Entfremdung untereinander führen könne, argumentierte Pörksen. „Diese Art des Publizierens folgt nur noch dem Vorsatz ‚schneller, lauter, billiger'", sagte der Medienwissenschafler. Hinzu komme, dass alle Themen ausschließlich unter dem Blickwinkel des Moralischen behandelt würden, weil Sprache und eigentliche Komplexität von Politik und Zeitgeschehen für Laien nicht zu erfassen seien. Prof. Dr. Volker Lilienthal, Moderator der Podiumsdiskussion, bat die Teilnehmer des Panels im Anschluss an die Keynote, den Wahrheitsgehalt der eben vorgetragenen Thesen aus Sicht ihrer journalistischen Praxis zu bewerten. Dr. Edmund Stoiber, Bayerischer Ministerpräsident a.D. und Beiratsvorsitzender der ProSiebenSat.1 Media AG, sah die Wissenschaft in der Pflicht, dem Politikbetrieb beim Erkennen und Bewältigen der digitalen Empörungsdemokratie zur Seite zu stehen. Das Internet habe tatsächlich alle Lebensbereiche nachhaltig verändert. Allerdings vermisse er, Stoiber, eine ernsthafte Medienpolitik, wie sie in den 1980er-Jahren betrieben worden sei und heute fast gänzlich als Politikfeld ausfalle. Insgesamt verkomme die Politik mehr und mehr zur Unterhaltung. Wenn sich heute viele Menschen zu Wort melden und eigene Kanäle des Publizierens nutzen würden, sei dies grundsätzlich zu begrüßen, betonte taz-Chefredakteurin Ines Pohl. Journalisten könnten von der sogenannten „Weisheit der Vielen" durchaus profitieren. Sie dürften allerdings die geltenden Kriterien für einen Qualitätsjournalismus nicht außer Acht lassen. „Die Bewegung im Netz kann Anlass für weitere Themenrecherchen sein", sagte Pohl. Darüber hinaus könnten die Netzaktiven Chronisten von Ereignissen werden, die für Redaktionen sonst nicht zugänglich seien. Ohne diese Tatsache genauer zu werten, stellte Dr. Peter Frey, Chefredakteur des Zweiten Deutschen Fernsehens, fest, dass die Journalisten in der digitalen Empörungsdemokratie von „ihrem Sockel" gestoßen wurden. Allerdings sei diese Veränderung auch dadurch geprägt, dass die Übergänge zwischen der Beschleunigung der Ereignisse, der Empörung und purer Skandalisierung um ihrer selbst willen fließend seien. Man müsse andererseits nicht den völligen Zerfall der bekannten Medienlandschaft befürchten, denn - entgegen aller Prognosen - steige der Fernsehkonsum beispielsweise kontinuierlich. Dass die Gatekeeper-Funktion der traditionellen Medien ausgehebelt worden sei, könne er nicht erkennen, sagte Nikolaus Blome. Der stellvertretende Chefredakteur der Bild-Zeitung argumentierte, Printmedien würden noch immer eine Leitfunktion übernehmen. Im Zusammenwirken zwischen den Print-Redaktionen der Tageszeitungen und ihren Online-Portalen würden sogar noch höherer Reichweiten erzielt. Diese Erkenntnis spreche für die weiter geltende Verantwortung klassischer Medien.

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