Bert Brecht 'An die Nachgeborenen' I

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Autorenrezitation (Aufnahme 1953)
erschienen auf der CD „Lyrikstimmen“
der Hörverlag
ISBN 978-3-86717-338-4

Vergleichsrezitation: Therese Giese
Link:

Vergleichsrezitation: Fritz Stavenhagen

Vergleichsrezitation: Christian Brückner

Vergleichsrezitation: Clemens von Ramin

Text:

I
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist.
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich sattzuessen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt, bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise.

In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen.
Auch ohne Gewalt auskommen,
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen,
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

II
In die Städte kam ich zur Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zur Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit,
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten.
Schlafen legte ich mich unter die Mörder.
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit,
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit,
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit,
Die auf Erden mir gegeben war.

III
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.
Dabei wissen wir doch:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unserer
Mit Nachsicht.

Bilder: Hans Baluschek ( *1870 - +1935 )
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Комментарии
Автор

Ergreifend und bedrückend, traurig und dennoch wunderschöne Poesie. Brecht war gleichzeitig ein literarisches Genie und ein ehrlicher Humanist.

guillermotell
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Auch wenn mir Christian Brueckner's Recitation eindeutig am Besten gefaellt ~ so finde ich doch diese, hier von Bert Brecht selbst vorgetragene am beruehrendsten.
Die Bilder-Collage ist wunderbar! Vielen Dank! 

mmbmbmbmb
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Habe es eben das erste Mal gehört.
Diese Melancholie, gepaart mit der bedrückenden Erkenntnis der ausgesprochenen Wahrheiten....das ist schon erschütternd. Da tun sich Abgründe auf.

pitterwagener
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Stark und im Grunde zeitlos und doch utopisch und naiv denn der Mensch ist dem Menschen nicht bedingungslos ein Freund.

Larrypint
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Die kurze Zeit, ohne Furcht verbringen!

marionplank
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in welchem Jahr hat er diese Gedichte gemacht?

keziaoktavia
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ANNAMAJCHER AGNIESZKISZLAST MACIERZYNSTWOANNYSENIUK

jolajanuszewska
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NIEBIESKI MIGDALY FRANZAKAFKI MACIERZYNSTWOBOZENYWALTER

jolajanuszewska
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Mein Vater sagte mir, dass Berthold Brecht (wenn er auch bei vielen als verdienstvoll gilt) ein Plagiator war, der bedenkenlos andere Schriftsteller bestahl. Und damit meine ich nicht die Dreigroschenoper oder den Kaukasischen Kreidekreis.

martinstubs