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Karlheinz Stockhausen - Telemusik (1966)

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Karlheinz Stockhausen - Telemusik (1966)
Werkverzeichnis: Nr. 20
Entstehungsjahr: 1966
Instrumentierung: für Elektronik
Komponist: Karlheinz Stockhausen
Dauer: 18′
Widmung: Telemusik ist dem japanischen Volk gewidmet
Telemusik wurde von Januar bis April 1966 im Studio für Elektronische Musik des Japanischen Rundfunks Nippon Hoso Kyokai realisiert. Während der ersten 8 oder 9 Tage in Tokyo konnte ich nicht schlafen. Ich war froh darüber, denn ununterbrochen gingen mir Klangvisionen, Ideen, Bewegungen durch den Kopf, wenn ich wach lag. Nach vier Nächten ohne Schlaf und vier Tagen acht- oder neunstündiger Arbeit im Studio für Elektronische Musik ohne irgendein brauchbares Ergebnis – nicht nur fremde Sprache, Speise, Wasser, Luft, die Ja- und Nein-Konfusion musste ich assimilieren, sondern auch eine völlig andere technische Einrichtung im Studio – kam eine Vision immer öfter wieder: es war, was ich mag: eine Vision von Klängen, neuen technischen Prozessen, formalen Beziehungen, Bildern der Notation, von menschlichen Verbindungen usw. – alles auf einmal und in einem Netzwerk, das zu verschlungen war, um in einem Prozess dargestellt zu werden: es sollte mich für lange Zeit beschäftigen.
Zu alledem wollte ich einem alten und immer wiederkehrenden Traum näherkommen: einen Schritt weiterzugehen in die Richtung, nicht „meine“ Musik zu schreiben, sondern eine Musik der ganzen Erde, aller Länder und Rassen. Sie werden sie in der Telemusik hören – ich bin gewiss – : jene mysteriösen Besucher vom japanischen Kaiserhof, die Gagaku-Spieler, von der glücklichen Insel Bali, aus der südlichen Sahara, von einem spanischen Dorffest, aus Ungarn, von den Shipibos des Amazonas, von der Omizutori-Zeremonie in Nara, an der ich drei Tage und Nächte lang teilnahm, aus dem phantastisch-virtuosen China, vom Kohyasan-Tempel, von den Bewohnern des Hochgebirges in Vietnam…
Einschub 1969: Heute, drei Jahre später, kann ich schon sagen, dass Telemusik zum Anfang einer neuen Entwicklung geworden ist, in der die Situation der „Collage“ der ersten Jahrhundert-Hälfte allmählich überwunden wird: Telemusik ist keine Collage mehr. Vielmehr wird – durch Intermodulationen zwischen alten, „gefundenen“ Objekten und neuen, von mir mit modernen elektronischen Mitteln geschaffenen Klangereignissen – eine höhere Einheit erreicht: eine Universalität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von weit voneinander entfernten Ländern und „Räumen“: Telemusik.
Fortsetzung des Textes von 1966: In der Nacht, in der mir zum ersten Mal der Name des Werkes einfiel, erlebte ich plötzlich einen Ausbruch an assoziativen Begriffen. Ich will einige dieser „Vokabeln für Telemusik“ zitieren: Ultra – Laserstrahlen – Sternstaub – Nord – Glast – Wolkenschatten – Helium – Pol – Spiegel – Ich des Ich – Hochfrequenz – Weiß auf Weiß – Reflexion – Schneetapse – Helle – No Kan – Skyskrapers – Gletscher – Ringmodulation – Silberstille – Resurrection – High fidelity
Telemusik möchte ich den Menschen des Landes, in dem ich zu Gast war, widmen, die ich so grenzenlos bewundere und die so unglaublich engagiert sind im Widerstreit zwischen dem alten und neuen Japan. Ich wünsche von ganzem Herzen, dass sie – die Japaner – ein neues Japan hervorbringen, während oder nach der gefährlichen Verletzung, die ihnen durch den Integrationsprozess der Welt und durch die notwendige Übergangszeit der Zerstörung und Gleichmachung von jedem und allem zugefügt wird. Denn ich habe gelernt – besonders in Japan -, dass Tradition nicht einfach existiert, sondern dass sie jeden Tag neu erschaffen werden muss. Was heute modern ist, wird morgen Tradition sein. Wir wollen nicht vergessen, dass alles, was wir tun und sagen, als Moment einer kontinuierlichen Tradition aufgefasst werden muss, sonst ist Tradition tot, tot und dreimal tot.
Karlheinz Stockhausen, Texte zur Musik, Band 3, DuMont
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